Wort zum Sonntag - 23.02.2025 - Matthias Karwath, Pfarrvikar
Wort zum Sonntag,
23.02.2025
Nicht gleich abschreiben!
Liebe Leserinnen und Leser,
Bertold Brecht erzählt folgende Geschichte: Einen vor sich hin weinenden Jungen fragte ein Vorübergehender nach dem Grund seines Kummers. „Ich hatte zwei Groschen für das Kino beisammen“, sagte der Knabe, „da kam ein Junge und riss mir einen aus der Hand.“ „Hast du denn nicht um Hilfe geschrien?“ fragte der Mann. „Doch“, sagte der Junge und schluchzte ein wenig stärker. „Hat dich niemand gehört?“ fragte ihn der Mann weiter. „Nein“, schluchzte der Junge. „Kannst du denn nicht lauter schreien?“ fragte der Mann. „Nein“, sagte der Junge und blickte ihn mit neuer Hoffnung an. Denn der Mann lächelte. „Dann gib auch den her“, sagte er, nahm ihm den letzten Groschen aus der Hand und ging unbekümmert weiter.
Diesen deprimierenden Ausgang verbinden viele Menschen mit dem Gebot der Feindesliebe, das im Mittelpunkt des heutigen Evangeliums steht (Lk 6, 27-38). Dem anderen auch noch die andere Wange hinzuhalten, nachdem ich von ihm geschlagen wurde, ist für viele Leser der Bergpredigt völlig absurd. Wir wollen nicht zu kurz kommen oder draufzahlen müssen, wenn wir die Botschaft Jesu leben!
Gerade in unserer von Krisen geschüttelten Zeit scheinen viele Menschen eher nach einer starken, dominanten Persönlichkeit Ausschau zu halten, die rücksichtslos und forsch die eigenen Interessen durchsetzt. Da ist kein Platz für die Bergpredigt!
Das Gebot der Feindesliebe ist nicht in jedem Fall und auch nicht in jeder politischen Situation eins zu eins umsetzbar. Dennoch möchte ich dafür werben, Jesu Anliegen nicht gleich als völlig utopisch zu verwerfen.
Jesus Christus war kein naiver, weltfremder Idealist. Er wollte eine Alternative zur ständigen Gewaltspirale aufzeigen!
Entscheidend ist, sein Gebot der Feindesliebe Wort für Wort auf sich wirken zu lassen. Jesus sagt nicht: „Wenn dich einer auf die Wange schlägt, dann lass dich ausnutzen, zusammenschlagen und demütigen!“
Er formuliert: „Wenn dich einer auf die Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!“ Jesus fordert ein überraschendes, entwaffnendes Verhalten ein – etwa in dem Sinne: „Geh so auf jemand zu, wie es dein Gegenüber nie für möglich hält! Irritiere den anderen!“
Um es noch einmal pointiert zu sagen: Es geht Jesus nicht um ein passives sich zusammenschlagen lassen, sondern um ein aktives auf den anderen Zugehen, das ihn erstaunt die Waffen strecken lässt.
Was damit gemeint sein könnte, möchte ich an einem Beispiel erläutern, das man sich von Papst Johannes XXIII. erzählt. Eines Tages wird ihm berichtet, dass ein Priester einer Gemeinde in Rom schwerer Alkoholiker und sein Dienst für die Pfarrgemeinde nicht mehr länger zu ertragen ist.
Papst Johannes XXIII. meldet sich bei diesem Priester zum Besuch an. Als der Priester dies erfährt, denkt er sich, dass der Zeitpunkt seiner Amtsabsetzung gekommen ist. Sein Eindruck verfestigt sich, als Johannes XXIII. ihm bei seinem Kommen sagt, dass er alleine mit ihm sprechen möchte. Als sie zu zweit sind, sagt der Papst: „Ich möchte bei dir beichten!“
Mit dieser Reaktion hat der Priester nie im Leben gerechnet. Vielleicht hat er darauf sein Leben ändern können. Das wird nicht weiter berichtet. Jedenfalls war die Vorgehensweise von Papst Johannes XXIII. ganz im Sinne der Bergpredigt Jesu.
Matthias Karwath,
Pfarrvikar im Pastoralen Raum Bad Kissingen und Exerzitienbegleiter