»Auf ein Wort« - von Matthias Karwath, Pfarrvikar
Liebe Leserinnen und Leser,
Kurt Tucholsky, einer meiner Lieblingsschriftsteller, hat im Blick auf die damalige politische Situation zwischen den beiden Weltkriegen einmal folgendes formuliert:
Worauf man in Europa stolz ist
Dieser Erdteil ist stolz auf sich, und er kann auch stolz auf sich sein.
Man ist stolz in Europa:
Deutscher zu sein
Franzose zu sein
Engländer zu sein
Kein Deutscher zu sein
Kein Franzose zu sein
Kein Engländer zu sein
Was Tucholsky in seiner Zeit auf den Punkt gebracht hat, ist bis heute aktuell geblieben. Jede Nation, jede Gruppierung, jede Wertegemeinschaft bleibt für sich, sonnt sich im Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen und schaut mit einer mehr oder minder ausgeprägten Verachtung auf andere Gruppen.
Man könnte in Europa, in Deutschland und leider auch innerhalb der Kirchen von einer „Blasenbildung“ sprechen.
Ich mache mir große Sorgen, wie in Zukunft ein vereintes Europa und auch unsere Kirche überleben wollen, wenn wir in diesen Blasen bleiben und den Kontakt untereinander vermeiden und umgehen.
Das tieferliegende Problem bei dieser Isolierung liegt für mich in einer Idealisierung der eigenen Interessen. Wenn mir etwas nicht passt, dann trete ich aus einer eingegangenen Verpflichtung aus und gründe meine eigene Existenz, meine eigene Partei oder meine eigene Kirche!
Vom christlichen Menschenbild her muss das in einer Katastrophe enden. Unser Gottesbild sagt, dass Gott in sich Beziehung ist, und wenn wir Abbilder Gottes sind, dann hat Gott uns auf Beziehung hin geschaffen.
Gerade als Christinnen und Christen haben wir den Auftrag, dazu beizu-tragen, dass die Blasenbildung in unseren Kirchen wie auch in unserer Gesellschaft und in Europa zerplatzen kann. Das ist anstrengend, aber in meinen Augen unumgänglich, wenn wir als Menschheit überleben wollen.
Pfarrvikar Matthias Karwath